Es gibt sie ja immer noch, Klimawandelleugner und Akteure, die aus Eigeninteresse Falschinformationen und Zweifel zum Klimawandel verbreiten. Als Physiker kann ich da nur fassungslos mit dem Kopf schütteln, weil Beobachtungen und Physik den Klimawandel zweifelsfrei bestätigen. Es gibt aber auch Mitmenschen, die den Klimawandel nicht wahrnehmen, und das ist ja was ganz Menschliches. Wer erinnert sich schon an das Klima vor dreizig Jahren? Der Klimawandel hat Deutschland schon deutlich zugeschlagen, und man kann ihn physikalisch nachvollziehen – dazu dieser Blogpost mit Analysen, die ich kürzlich mit Messungen an Wetterstationen in Deutschland durchgeführt habe und weiterführende Links. Und sie zeigen, dass der Klimawandel schon krasser gekommen ist als erwartet.
Warum sehe ich mir Wetterstationsdaten an?
Ich bin schon lange in der Klimaforschung unterwegs – die Physik dazu ist klar und eindeutig, es ist Lehrbuchwissen. Aber wie stark hat sich der Klimawandel eigentlich schon bemerkbar gemacht? Wieviel wärmer ist es heute im Vergleich zu – zum Beispiel – der Zeit, wo ich in die Schule gegangen bin? Letztens haben wir mit italienischen Freunden über den Klimawandel gesprochen. Sind 36 Grad nachmittags im Sommer in Italien normal?
Da hilft nur ein rationaler Blick auf Beobachtungen. Und manche Wetterstationen gibt es schon lange genug, so dass man quantitativ sehen kann, wie sich das Klima über die vergangenen Jahrzehnte verändert hat. Ich finde, dieser Blick auf Beobachtungen aus der direkten Umgebung machen den Klimawandel viel greifbarer.

Wie ich mir die Stationsdaten ansehe
Von ganz Deutschland sind Messungen von Wetterstationen allgemein zugänglich, der DWD ist vorbildlich. Auch in Italien sind die Daten zugänglich, es hängt aber von der Region ab. In Umbrien gibt es sie zum Beispiel hier, für die Toskana gibt es sie hier.
Ich sehe mir dann die Daten nicht als Zeitreihen an, wie es typischerweise dargestellt wird. Da sieht man ja vor allem, dass Temperaturen stark schwanken – also die Manifestation vom Wetter – und dass es im Vergleich dazu nur einen schwachen Erwärmungstrend gibt – also den Klimawandel. Eine bessere Art und Weise finde ich, die Daten als Häufigkeitsverteilungen zu plotten. Ich nehme dazu die Temperaturen des Sommers (meteorologisch definiert als Juni, Juli, und August, JJA) über einen Zeitraum von 30 Jahren und bestimme dann, wie häufig welche Temperaturen gemessen worden sind. Oder man macht das für den Winter (Dezember – Februar). Da die Solarstrahlung sich in diesen Jahreszeiten nicht so stark ändert wie in Frühjahr und Herbst, sind die Verteilungen nahe an der Gauß Verteilung. Um Änderungen zu sehen, wähle ich Stationen aus, die länger als 60 Jahre messen – dann kann man die letzten 30 Jahre mit den ersten 30 Jahren vergleichen.
Für die erste Periode wähle ich den Zeitraum 1961-1990. Das ist die sogenannte klimatologische Referenzperiode. Das Mittel über diese Periode definiert typischerweise das Klima einer Region. Der Mittelwert der Verteilung gibt mir die klimatologische Tagesmitteltemperatur des Sommers, die Breite der Verteilung (z. B. beschrieben über die Standardabweichung) beschreibt mir die Wetterschwankungen.
Diese Periode vergleiche ich dann mit den aktuelleren Daten der nächsten 30 Jahre, also 1991-2020. Die Änderungen des Mittelwerts der Verteilung repräsentiert dabei den Klimawandel. Und das kann ich dann mit den Standardabweichungen vergleichen, also sehen, ob Wetterschwankungen sich verändert haben.
Was ich gefunden habe
Ich habe mir ein paar Stationen mit langjährigen Temperaturmessungen herausgesucht. Hier gezeigt ist Jena, also da, wo ich jetzt arbeite und wohne. Auf andere Stationen trifft dies aber genau so zu (siehe hier). In der Verteilung sieht man den Klimawandel sehr deutlich. Die ganze Verteilung hat sich zu wärmeren Temperaturen verschoben – genau so wie man es mit dem Klimawandel erwarten würde. Über den Zeitraum von 30 Jahren hat sich die Verteilung um etwa +1,3 Grad wärmeren Temperaturen hin verschoben.
Diese Erwärmung findet man in ganz Deutschland. Dazu habe ich mir den HYRAS Datensatz des DWD angesehen, der auf Wetterstationsmessungen basiert und dies in räumliche Felder erweitert hat. Und da zeigt sich, dass die mittlere Temperatur relativ gleichförmig überall zugenommen hat, und zwar um etwa +1,1 Grad. Also nicht nur in Städten, die Erwärmung sieht man genauso deutlich in der ländlichen Region (siehe z. B. die Wetterstation auf dem Fichtelberg im Erzgebirge, Link hier).

Was man an der Verschiebung der Histogramme auch deutlich sieht, ist die Zunahme von extrem warmen Tagen (Abbildung 4). Das folgt schlicht aus der Verschiebung der Gauß Verteilung. Die Standardabweichung hat sich hingegen nicht verändert – Wetter schwankt also mehr oder weniger so, wie es vor 30 Jahren auch schon war.
Die extremen Tageshöchsttemperaturen haben derweil kräftig zugenommen. Als ich zur Schule ging, waren es nur 5% der Sommertage, an denen die Tageshöchsttemperatur über 28.5 Grad lag, also etwa 4 Tage (Diese Zahl erhält man, wenn man die Häufigkeiten aufsummiert und nachsieht, wann man 95% überschritten hat – dies ist unten dargestellt als CDF, für cumulative distribution function). Im Zeitraum 1991-2020 waren es schon doppelt so viele Tage, etwa 10%. Und in den letzten 5 Jahren waren es bereits 15% der Tage. Dieser überproportionale Anstieg der extrem warmen Tage liegt letztendlich am exponentiellen Abfall an den Rändern der Gauss-Verteilung, auch wenn die paar Grad mittlere Erwärmung gar nicht so viel erscheinen mögen.

Und wie ist es mit den 36 Grad in Italien? Eigentlich das Gleiche. Auch hier haben sich die Extreme deutlich erhöht. Sogar noch stärker, weil sich der Mittelwert stärker erhöht hat (Abbildung 5).

Was die Erwärmung erklärt
Ich mag Dinge gerne verstehen, und dazu gehört idealerweise, sie nachrechnen zu können. Bei Temperaturen geht dies, dazu braucht man die Komponenten der Energiebilanz der Erdoberfläche. Sie bilanziert Erwärmungs- und Kühlungsflüsse. Erwärmt wird die Oberfläche durch die Absorption von solarer Einstrahlung an der Oberfläche (die sog. Globalstrahlung) und das, was die Atmosphäre in Richtung Oberfläche emittiert, thermische Ausstrahlung und die sogenannten turbulenten Wärmeflüsse kühlen die Oberfläche. Es gibt noch andere Terme, aber die sind über Land in der Regel klein. Auch sind Oberflächentemperatur und die 2m Lufttemperatur, die an Wetterstationen gemessen wird, nicht identisch. Auf Tagesmittelbasis sind sie aber sehr ähnlich (siehe dazu auch diesen Blogpost). Aus der Ausstrahlung können wir über das Stefan-Boltzmann Gesetz dann die Temperatur ausrechnen.
Um dies zu tun, brauchen wir die Strahlungsflüsse. Solarstrahlung ist Bestandteil des HYRAS Datensatzes – die Sonnenscheindauer wird schon lange als Messgröße aufgezeichnet. Die atmosphärische Gegenstrahlung kann man aus der Lufttemperatur, Luftfeuchte, und Bewölkungsgrad sehr gut abschätzen (siehe diesen Blogpost). Bei den Kühlungstermen braucht man eine Abschätzung für die turbulenten Wärmeflüsse, dem Auftrieb erwärmter Luft und der Verdunstung. Diese kann man über unseren Ansatz der maximalen Leistung bestimmen (siehe Blogpost hier).
Diesen Ansatz kann man nun nehmen, und die Erwärmung in Deutschland nachrechnen. Das klappt ausgesprochen gut. Damit kann man zeigen, dass etwa die Hälfte der Erwärmung durch die Zunahme des Treibhauseffekts entsteht, die andere Hälfte durch eine Zunahme der solaren Einstrahlung an der Oberfläche (die Änderungen der Strahlungsflüsse sind in Abbildung 6 gezeigt). Die genaue Rechnung wird im Anhang dieses Artikels beschrieben und im unten stehenden Video gezeigt.

Also die Verschiebung des Mittelwerts hin zu wärmeren Temperaturen können wir damit nachvollziehen. Die Zunahme der atmosphärischen Gegenstrahlung ist genau das, was man durch die Zunahme des atmosphärischen Treibhauseffekts erwarten würde. Die Zunahme der solaren Einstrahlung an der Oberfläche hingegen ist weniger klar. Klar ist, dass es nicht die Sonne selbst ist – ihre Schwankungen sind zu gering und zeigen keinen Trend. Ein Grund liegt sicherlich in der Abnahme von Luftverschmutzung, also weniger Aerosole. Ein weiterer Grund könnte in der Beschleunigung des Wasserkreislaufs liegen – die Zunahme von Starkregenereignissen ist ja gut dokumentiert und lässt sich thermodynamisch sehr gut nachvollziehen (siehe Blogpost hier). Und wenn Niederschlagsereignisse beschleunigt werden, sollten Wolken kürzer leben, und weniger die Oberfläche abschatten. Von der Größenordnung her sollte das passen (dazu ist eine Abschätzung am Ende dieses Artikels).
Warum dies wichtig ist
Der globale Klimawandel hat in Deutschland sich also schon sehr klar bemerkbar gemacht. Er fällt deutlich stärker aus, weil die Erwärmung der Oberfläche durch Solarstrahlung ebenfalls zugenommen hat. Diese Erwärmung ist deutlich stärker, als was Klimamodelle bislang prognostizieren. Also, Klimawandel ist keine Ideologie sondern physikalische Realität.
Was daran ist wichtig, wenn es doch scheinbar nur ein bisschen wärmer wird? Ich möchte zwei Gründe nennen, beide recht physikalisch mit direkten Auswirkungen. Es gibt natürlich noch eine ganze Reihe weiterer Gründe.
Der erste Grund ist die sehr gut sichtbare Zunahme extrem warmer Temperaturen – extrem bezieht sich dabei auf das, was am Rande der normalen Verteilung ist. Also wie oben gezeigt. Und je wärmer es wird, desto schwieriger wird es für den menschlichen Körper, Wärme in die Umgebung abzugeben. Denn der menschliche Metabolismus produziert um die 100 Watt an Wärme, und die müssen in die Umgebung abtransportiert werden. Das geht über den Temperaturunterschied, direkt, und indirekt über Schwitzen, also Verdunstung. Da wärmere Luft auch mehr Wasserdampf enthält, ist das Schwitzen auch an diesen Temperaturunterschied gekoppelt. Deshalb wird es zunehmend schwerer, kühl zu bleiben. Und das wiederum ist ja genau einer der Gründe, warum es Konzepte wie „hitzefrei“ gibt.
Der zweite Grund, den ich nennen will, ist die zunehmende Verdunstung – wärmere Temperaturen und mehr Energie an der Oberfläche, beides erhöht sie. Das hat schon in den letzten Dekaden die Trockenheit in Deutschland verstärkt – und dies hat natürlich Auswirkungen auf Natur, Wälder, Landwirtschaft, Flüsse und so weiter.
Also höchste Zeit, aktiv zu werden, und die Modernisierung unseres Energiesystems voranzutreiben. Verbrennung ist ja eh ineffizient (siehe hier), also lösen wir das Problem des Klimawandels insbesondere, wenn wir die Energiewende so schnell wie möglich vollziehen!
Selber machen?
Mal eben nachsehen, wie sich das heutige Wetter vergleicht zum klimatologischen Normalzustand?
Die Wetter App auf dem iPhone zeigt es an. Dazu scrollt man nach fast ganz unten. Da steht der Vergleich zum Normalzustand (Abbildung 7 links). Wenn man auf das Feld “Durchschnittswerte” drückt, bekommt man noch mehr Details angezeigt (Abbildung 7 rechts) – jeweils im Vergleich zur Klimatologie, gemittelt ab 1971.

Lesbares
Kleidon, A. (2024) Dürren in Deutschland. Phys. Unserer Zeit, 55: 190-197. https://doi.org/10.1002/piuz.202401697
Kleidon (2020) Sonne oder Treibhauseffekt. Phys. Unserer Zeit, 51: 79-85. https://onlinelibrary.wiley.com/doi/10.1002/piuz.202001560
Youtube
Youtube Video zu Thermodynamik und Temperaturen auf Urknall, Weltall, und das Leben.
Youtube Video zu Temperaturen in Deutschland auf VideoWissen.
