Kernenergie scheint gerade wieder in Mode zu kommen, gerade bei konservativen und populistischen Parteien. Aber ist Kernenergie sinnvoll? Kann sie zur Energieversorgung und Klimaschutz beizutragen? Harald Lesch und ich haben uns dies in einem Artikel in Physik in unserer Zeit genauer angesehen, und kommen zu einer klaren Antwort: Nein, Kernenergie ist zu teuer, zu unflexibel und Versorgungssicherheit bietet sie bei zunehmender Trockenheit in Deutschland auch nicht.
Warum Kernenergie?
Erneuerbare Energien spielen eine gewichtige Rolle in der heutigen Stromerzeugung – sie tragen schon mehr als die Hälfte zum Stromverbrauch bei und der Ausbau schreitet kräftig voran. Also wozu dann Kernenergie? Erstmal sollten wir aber festhalten, dass Strom nur 15% unseres Energieverbrauchs darstellt, während 85% unseres Energieverbrauchs andere Dinge involviert, insbesondere Raumwärme und Mobilität (mehr Daten dazu bei der Arbeitsgemeinschaft Energiebilanzen). Insgesamt werden 70% unser Primärenergie in Form von fossilen Energieträgern importiert, sie kosten uns jährlich 100 Milliarden Euro, das sind mehr als 20% des Bundeshaushalts. Und bei diesen 85% unseres Energieverbrauchs, da hilft uns die Kernenergie erstmal überhaupt nicht.
Im Zuge der Energiewende geht es auch um Modernisierung. Ineffiziente Verbrennungstechnologien werden durch strombasierte Technologien ersetzt, wie Wärmepumpen und e-Mobilität. Beide nutzen Strom und machen ihre Sache deutlich effizienter als Verbrennung (mehr dazu in dieser Terra-X Kolumne, in diesem Blogbeitrag, und in diesem Youtube Video). Durch die Umstellung auf strombasierte Technologien werden wir zwar in Zukunft mehr Strom verbrauchen – etwa 50-100% mehr, je nach Szenario. Und wenn wir dann in Zukunft mehr Strom brauchen, könnte da die Kernenergie zu einem kostengünstigen und versorgungssicheren Energiesystem beitragen?
Kernenergie ist deutlich teurer als Photovoltaik und Windenergie
Entscheidend für den Erfolg sind die Stromgestehungskosten. Diese umfassen Investitionen, Wartung und Betrieb sowie Brennstoffkosten. Photovoltaik und Windkraft sind heute schon deutlich günstiger als Kernkraft. Die Abbildung zeigt Schätzungen für die Kosten, eine Schätzung von Lazard, einem Beratungsunternehmen aus den USA, die andere vom Fraunhofer Institut aus Deutschland. Beide zeigen das gleiche Bild: Stromerzeugung aus Photovoltaik und Wind sind wesentlich günstiger als konvenzionelle Stromerzeugungsformen inklusive der Kernenergie.

Photovoltaik wird immer günstiger, Kernenergie nicht
Nun kann es natürlich sein, dass die Kosten sich in Zukunft ändern – vielleicht wird die Kernenergie ja billiger werden? Dann könnte sich ja der Vergleich ändern. Kostenreduzierungen werden durchaus beobachtet – ein Phänomen, dass als Lernkurve bezeichnet wird. Je mehr produziert wird, desto geringer die Stückkosten. Und dies kann man bei einfachen, flexibel einsatzbaren Technologien beobachten, typischerweise jedoch nicht bei komplexen Technologien, die individuell angepasst werden müssen (mehr dazu in dieser Studie).
Bei Photovoltaik ist die Lernkurve sehr gut dokumentiert, hier sind die Stückkosten gewaltig gesunken bei steigender Produktion (siehe Abbildung). Bei Kernenergie ist es wesentlich schwerer, an die Kosten zu kommen, zumal die Kosten für Haftung und Endlagerung hohe Unsicherheiten haben und häufig nicht enthalten sind. Es gibt eine Studie zu den Kosten von Kernenergie in Frankreich – sie zeigen eine negative Lernkurve, also eine Zunahme der Stückkosten.
Das, was diese Lernkurven zeigen, ist plausibel – Kernkraftwerke sind wesentlich komplexer als Photovoltaik, also würde man auch keine Lernkurve erwarten. Geringere Kosten bei Kernenergie sind also nicht zu erwarten. Und die globalen Trends reflektieren dies – während die installierte Kapazität von Photovoltaik exponentiell wächst, stagniert die Kernkraft.

Mit dem Ausbau der Erneuerbaren verschwindet die Grundlast
Abgesehen von den hohen Kosten von Kernenergie werden sie auch nicht in moderne Stromsysteme passen. Kernkraftwerke wurden für die Deckung der sogenannten Grundlast konzipiert, also dem Verbrauch an Strom, der ständig vorhanden ist. Mittlerweile wird aber ein guter Teil dieser Grundlast durch die Erneuerbaren gedeckt. Die Last, die noch durch ergänzende Kraftwerke zu decken ist, ist also gesunken. Letzteres bezeichnet die sogenannte Residuallast – also den Strombedarf reduziert durch das, was die Erneuerbaren einspeisen.
Diesen Effekt der reduzierten Grundlast sieht man sehr schön in den Verbrauchsstatistik des Jahres 2022. Dafür gibt es Daten der Bundesnetzagentur, wo man diese Daten herunterladen kann. In der Abbildung ist die Häufigkeitsverteilung der Netzlast – also des gesamten Stromverbrauchs – gezeigt sowie die der Residuallast – also Stromverbrauch minus Einspeisung aus Sonne und Wind. Die Häufigkeitsverteilung beschreibt, wie häufig ein gewisser Verbrauch vorhanden war. Die Spitzenlast sieht man ganz links – in nur einer Stunde des Jahres 2022 wurden 78,7 GW verbraucht. Die Grundlast sehen wir ganz rechts – die Netzlast betrug das ganze Jahr über mindestens 34,4 GW. Zur Deckung dieser Grundlast waren Kernkraftwerke ursprünglich konzipiert.
In der Abbildung sehen wir auch den Effekt durch die Einspeisung von Photovoltaik und Wind: Die Residuallast liegt deutlich unter der Netzlastkurve. Regelbare Kraftwerke müssen also weniger Strom erzeugen. Dies senkt den Bedarf an Grundlast deutlich auf 3,1 GW.
Der weitere Ausbau erneuerbarer Energien wird die Residuallast noch weiter reduzieren. Der Bedarf an Grundlastkraftwerken wird also in absehbarer Zeit verschwinden.

Fehlende Grundlast macht Kernenergie noch teurer
Dieses Verschwinden der Grundlast durch die Einspeisung der Erneuerbaren führt dazu, dass Kernenergie noch teurer wird. Dies hat damit zu tun, dass Kernkraftwerke sehr hohe Investitionskosten haben. Andere regelbare Kraftwerke – insbesondere Gasturbinenkraftwerke – deutlich günstiger zu bauen sind.
Diese unterschiedliche Kostenstruktur führt dazu, dass die Kosten für die Stromerzeugung aus Kernkraftwerken pro erzeugter Kilowattstunde deutlich steigen, sobald die Auslastung sinkt, während dies bei Gaskraftwerken wegen der deutlich geringeren Investitionskosten erst bei deutlich geringerer Auslastung der Fall ist (siehe Abbildung). Abgesehen davon können die Kernreaktionen nicht so schnell ab- oder angestellt werden wie dies bei Gaskraftwerken der Fall ist.
Dies bedeutet: Den Strombedarf, die Sonne und Wind nicht decken können, dass, was häufig als Dunkelflauten bezeichnet wird, das lässt sich viel günstiger durch flexible Gaskraftwerke abdecken, statt über unflexible und teure Kernkraftwerke.

Keine Versorgungssicherheit bei zunehmender Trockenheit
Es gibt noch einen anderen, schwerwiegenden Aspekt, der in Zukunft im Zuge des Klimawandels relevanter werden wird: die Verfügbarkeit von Kühlwasser.
Thermische Kraftwerke benötigen große Mengen Kühlwasser. Letztendlich hat dies mit dem zweiten Hauptsatz der Thermodynamik zu tun – Kühlwasser wird für die Energieumwandlung gebraucht, um Entropie los zu werden, es lässt sich also nicht vermeiden. Typischerweise geht mehr als die Hälfte der eingesetzten Wärme als Abwärme verloren, und weniger als die Hälfte geht in die Stromerzeugung. Dafür wird jede Menge Kühlung gebraucht. Deshalb standen Kernkraftwerke in Deutschland an Flüssen – sie entnahmen Flusswasser, heizten es um etwa 10 Grad auf, und pumpten es wieder in die Flüsse.
Im Zuge des Klimawandels ist Deutschland aber schon deutlich trockener geworden (mehr dazu in diesem Artikel und am Ende dieses Youtube videos), Flusswasser in Sommermonaten könnte also durchaus knapp werden. In Frankreich konnten wir dies ja schon vor ein paar Jahren beobachten, dass Kernkraftwerke herunterfahren mussten, weil die Flüsse im Sommer trocken liefen.
Also Versorgungssicherheit bieten Kernkraftwerke auch nicht. Erneuerbare Energien wie Photovoltaik und Windkraft hingegen erzeugen Strom, ohne dass sie Abwärme erzeugen. Also geradezu ideal für eine zukünftige Energieversorgung in zunehmend trockeneren Sommern.

Also: Kernenergie ist keine Lösung
Kurz zusammengefasst: Kernenergie ist im Vergleich zu anderen Technologien deutlich teurer in der Stromerzeugung. Dies wird auch so bleiben, weil Lernkurven bei einfacher Technologie erwartet wird, wie bei Photovoltaik. Die Kostenspanne wird sich in den nächsten Jahren also eher weiter vergrößern, und Kernenergie wird folglich noch teurer. Auch ist sie ungeeignet, die Defizite zwischen Verbrauch und Erzeugung kurzfristig zu decken, wenn Sonne und Wind zu wenig erzeugen – dafür ist sie zu unflexibel, und da sie mit sehr hohen Investitionskosten verbunden ist, wird die Stromerzeugung dadurch noch teurer. Gasturbinenkraftwerke oder Speichertechnologien können dies deutlich günstiger bewerkstelligen. Und letztlich bietet sie auch keine Versorgungssicherheit zu Zeiten, wo Deutschland aufgrund des globalen Klimawandels immer trockener wird. Also spricht eigentlich nichts für die Kernenergie.
Wenn also, rational gesehen, Kernenergie keinen Sinn ergibt, warum wird sie gerade wieder aufgewärmt? Ist es Unwissenheit? Ich hoffe nicht – es ist ja heutzutage recht einfach, sich dazu zu informieren (siehe auch diese Studie des wissenschaftlichen Diensts des Bundestages). Was ich eher vermute ist, dass hier neue Möglichkeiten für Großinvestoren geschaffen werden sollen. Das geht natürlich nur mit staatlichen Garantien, also mit gewaltigen staatlichen Subventionen, die wir alle zahlen werden. Das Ziel einer günstigen Stromversorgung wird damit nicht erreicht. Stattdessen führt dies zu der üblichen gesellschaftlichen Umverteilung – Investoren profitieren, die Gesellschaft (sprich wir alle) zahlen drauf.
Oder das Thema ist einfach eine Nebelkerze, um von den eigentlichen Problemen und den fehlenden Lösungsansätzen mancher Parteien abzulenken. Gerade bei Populisten dies ja eine ganz typische Strategie.
Youtube Video
Veröffentlichung
Kleidon, A. and Lesch, H. (2024), Kann Kernenergie zur Energiewende beitragen? Phys. Unserer Zeit, 55: 286-293. https://doi.org/10.1002/piuz.202401718.
English translation available on arXiv.
