In der gegenwärtigen Energiedebatte wird viel behauptet – Kernenergie soll wieder auferstehen, China setzt ja eh auf Kohle und Deutschland ginge einen Sonderweg. Ein nüchterner Blick auf Stromerzeugung im internationalen Vergleich zeigt klar: Deutschland geht keinen Sonderweg, sondern ist Vorreiter. Mehr dazu in der Terra-X Kolumne mit Harald Lesch und als Youtube Video. Und demnächst als Artikel in Physik in unserer Zeit.
In der gegenwärtigen Diskussion zur Energiewende stört mich die weitverbreitete Abwesenheit von Rationalität und die ganze Unsachlichkeit der Debatte. Stattdessen wird behauptet, manipuliert, verunglimpft. Wie soll man damit ein gutes Ergebnis erzielen? Wir brauchen doch dafür Sachlichkeit, Daten und Fakten, und Transparenz. Und das braucht sauberes, wissenschaftliches Arbeiten, mit Verweis auf Theorien oder Konzepten, auf Quellen von Daten und so weiter.
Also, wo können wir anfangen, ganz sachlich?
Wie erkennt man Durchbruchsinnovationen?
So kamen eine Reihe von Posts auf LinkedIn von Russ Conser zur rechten Zeit. Mit Russ tausche ich mich schon länger ab und zu aus – zum Beispiel zu Entropie und Leben, oder der Rolle von Vegetation. Russ hat viele Jahre bei Shell gearbeitet, zuletzt leitete er die Forschungsabteilung zu Energietechnologien. Also er hat damit sein Geld verdient, zu erkennen, wo Neues und Besseres entsteht.

Dafür verwendet er die Theorie von “Diffusion von Innovation“, die sich als “S-Kurve” darstellt (Abb. 1). Oder, für mich als Physiker, ist das logistisches Wachstum – eine Form, die man ganz häufig findet, in Populationen, Ökosystemen, Epidemien, etc.. Anfänglich wächst etwas exponentiell – also ganz rapide, häufig wesentlich schneller, als was wir Menschen uns vorstellen können. Aber irgendwann ist der Markt mit dem Neuen gesättigt, also flacht das exponentielle Wachstum irgendwann ab. Und logistisches Wachstum fasziniert und beschäftigt mich schon einige Zeit – insbesondere, wie es zur Thermodynamik von Systemen passt. Einen Anfang dazu hatte unsere Arbeit mit Antonella’s Arbeitsgruppe zur Flusschemie des Arno. Aber dazu schreibe ich mal in ein paar Monaten mehr.
Zurück zur Technologie. Wenn etwas logistisch wächst, empfiehlt es sich, Daten in einer ganz bestimmten Weise anzusehen. Also zum Beispiel die internationalen Stromerzeugungsdaten der letzten 25 Jahre von EMBER. Wir sehen uns dann nicht den prozentualen Anteil verschiedener Technologien an, sondern den Anteil einer Technologie im Vergleich zur restlichen Stromerzeugung durch alle anderen Technologien. Wenn N die Stromerzeugung einer Technologie ist und K die gesamte Stromerzeugung, dann geht es also nicht um N/K, sondern um N/(K–N). Man kann mathematisch zeigen, dass dieses Verhältnis, N/(K–N), exponentiell wächst. Also kann man diese Größe auf eine logarithmische Achse auftragen, und sollte dann entsprechend Linien sehen, wenn eine Technologie logistisch wächst und andere Technologien verdrängt.
Photovoltaik und Windenergie auf weltweitem Durchbruch
Und das haben wir gemacht. Was wir gefunden haben, hat uns wirklich überrascht (Abb. 2). Zum Einen klar erkennbar ist, dass die Stromerzeugung von Photovoltaik und Windenergie logistisch wächst. Nicht nur in Deutschland, sondern weltweit. Und das Verhältnis steigt nahezu in ähnlichen Proportionen in den verschiedenen Regionen, die wir in der Abbildung dargestellt haben. Ist das nicht faszinierend?

Die Trends in der gesamten Stromerzeugung sind dabei sehr unterschiedlich. In Deutschland sinkt der Stromverbrauch etwa seit 10 Jahren, in China hat er sich über 25 Jahre verzehnfacht, in Europa und den USA ist er relativ konstant. Aber weil wir ja für logistisches Wachstum uns relative Größen ansehen, fallen diese Trends nicht ins Gewicht. Für die Interpretation ist dies trotzdem relevant. Es bedeutet nämlich, dass Kohle und Kernkraft in China noch wachsen, aber eben längst nicht so stark wie die Stromerzeugung aus Photovoltaik und Windenergie.
Was wir auch sehen ist, dass die Linie für Deutschland nach links verschoben ist – der Trend hat also bei uns früher angefangen, in anderen Ländern hat er erst später angefangen. Wir gehen also keinen Sonderweg, sondern sind in diesem globalen Trend mit bei den Vorreitern dabei.
Was das letztendlich bedeutet ist, dass Photovoltaik und Windenergie die Technologien der Zukunft sind, wenn es um Stromerzeugung geht. Das kann man eigentlich auch recht gut verstehen, es hat mit den Lernkurven der Technologien zu tun, also wie stark sich die Stückkosten sinken bei höherer Produktion. Und natürlich kommt diese Vorreiterrolle auch mit Problemen und Herausforderungen, zum Beispiel hinsichtlich des Abpufferns zwischen Angebot und Nachfrage und des Strommarktdesigns. Ausführlicher wird dies beschrieben in unserem Artikel, der demnächst bei Physik in unserer Zeit erscheinen wird (Vorabdruck auf Anfrage an mich verfügbar).
Und es wird ganz sicher mehr in absehbarer Zeit folgen zu den Themen Energie der Zukunft und zum logistischen Wachstum.
Video
Manuskript
Kleidon, A., Lesch, H., Conser, R. (im Druck), Stromerzeugung im internationalen Vergleich. Phys. Unserer Zeit. https://doi.org/10.1002/piuz.202501743. (noch nicht erschienen, Vorabdruck auf Anfrage an Axel Kleidon verfügbar)
