Im neuen Video auf Youtube geht es um die Gaia Hypothese, die James Lovelock in den 1970er Jahren formuliert hat. Sie postuliert, dass Leben die planetare Umwelt so verändert und reguliert, dass sie optimal für das Leben ist. Wenn man die Biosphäre als thermodynamisches System betrachtet, welches mit der Erde stark interagiert und dabei ihre Leistung maximiert, ist diese Hypothese gar nicht so abwegig. Mehr Hintergrund in diesem Blogpost.
Wie ich auf die Gaia Hypothese gestoßen bin
Anfangen möchte ich kurz damit, wie ich eigentlich auf die Gaia Hypothese gestoßen bin, nämlich am Ende meiner Promotion. Ich untersuchte die Rolle von tiefwurzelnder Vegetation auf das Klima, insbesondere des amazonischen Regenwalds. Der Effekt ist recht einfach: Durch ausgeprägte Trockenzeiten wird das Wasser knapp, außer, wenn Pflanzen es sich im Boden durch ausreichend tiefe Wurzeln erschliessen. Aber wie kann man die Wurzeltiefe bestimmen, wenn man nicht die gesamte Welt umpflügen will? Ich habe stattdessen mit der Annahme gearbeitet, dass die Wurzeln halt so tief sind, dass sie die Produktivität maximieren (Kleidon and Heimann 1998a). Das hat ganz wunderbar funktioniert – die Tiefen passten zu in etwa zu den spärlichen Beobachtungen von Wurzeltiefen, und hatte erhebliche Folgen: wenn der Regenwald in der Trockenzeit dann doch dieses Wasser verdunsten kann, kann er weiterhin produktiv bleiben und fügt der Atmosphäre jede Menge Wasser hinzu und verändert damit das Klima (Kleidon and Heimann 1998b).
Und dann kann man, als Physiker, natürlich fragen, warum Vegetation dies macht. Mein Betreuer, Martin Heimann, hat mich dann am Ende meiner Promotion auf die Gaia Hypothese aufmerksam gemacht. Wir hatten zu der Zeit auch gerade mit einem Klimamodell einen Wüstenplaneten simuliert, um herauszufinden, wie wichtig denn nun Vegetation für das Klima ist (Kleidon et al. 2000). Und gerade, als ich meine Postdoc-Stelle in Kalifornien angetreten hatte, hat mich ein dortiger Kollege, Steve Schneider, der auch gleichzeitig der Herausgeber der Zeitschrift war, in der wir diese Arbeit eingereicht hatten, zur zweiten AGU Chapman Konferenz über die Gaia Hypothese eingeladen – eine sehr stimulierende Konferenz, in der ich viel über die Erdgeschichte gelernt habe. Meinen Vortrag auf der Konferenz fing ich mit der Anregung an, dass man vielleicht erstmal Maße für die Biosphäre definiert und dann Hypothesen zur Gaia Hypothese aufstellen sollte, die man auch testen kann. Dies kam gut an, und daraus entstand ein weiterer Beitrag, der dies genauer formuliert hat (Kleidon 2002).
Den eigentlichen Schlüsselmoment erlebte ich auf dem Konferenzdinner. Ich saß zwischen zwei Wissenschaftlern, die über die Entropie von Strahlung diskutierten, aber nicht mehr wussten, welche Strahlung denn nun höhere Entropie hat. Ich wusste es auch nicht, dachte aber, dass ich als Physiker das doch wissen sollte. Und Entropie ja wohl die ultimative Antwort auf alle „Warum?“ Fragen geben sollte.
So startete mein Einstieg in die Thermodynamik des Erdsystems (Kleidon 2004), einen Ansatz, den ich über die Jahre entwickelt habe (Kleidon 2010, Kleidon 2016, Kleidon 2023, Kleidon 2024), der tiefe Einsichten vermittelt und ganz hervorragend gut funktioniert, weil er Beobachtungen sehr einfach reproduzieren kann, und der eben auch Verhalten erklären kann, die ganz ähnlich zum postulierten Verhalten der Gaia Hypothese ist. (Und falls Sie keinen Zugriff auf die Referenzen haben, schreiben Sie mich einfach an!)
Die Grundlage: Die Biosphäre als thermodynamisches System
Wie kann man nun also die Gaia Hypothese mit Thermodynamik zusammenbringen?
Der Anfangspunkt ist, dass wir Leben selbst als thermodynamischen Prozess betrachten – an sich nichts Neues, auch Schrödinger und Boltzmann haben dies ja schon getan. Die Biosphäre können wir dann als ein sogenanntes dissipatives System betrachten (Abbildung 1). Produzenten, also z.B. Pflanzen, erzeugen aus Sonnenlicht Kohlehydrate, sie repräsentieren chemisches Nichtgleichgewicht, das mit nutzbarer, chemischer Energie verbunden ist. Diese chemische Energie wird dann genutzt, um die metabolische Aktivität von den Produzenten selbst wie auch der Konsumenten, also der Tierwelt aber auch uns Menschen, zu unterhalten. Durch die metabolische Aktivität wird das chemische Nichtgleichgewicht wieder abgebaut, und chemische Energie in Wärme umgewandelt. Insgesamt bleibt die Masse – natürlich – erhalten, aber es findet insgesamt eine Abwertung von solarer Strahlung in Wärme statt.

Leben stellt somit thermodynamisches Nichtgleichgewicht dar, die Biosphäre ist ein dissipatives System, welches eng mit dem Nichtgleichgewicht von reduzierten Kohlenstoff und Sauerstoff verbunden ist. Und damit können wir auch messen, wie „gut“ Umgebungsbedingungen für das Leben sind – wenn sie besser sind, kann die Biosphäre mehr leisten und dissipieren, werden die Bedingungen schlechter, leistet und dissipiert die Biosphäre weniger.
Gaia-artiges Verhalten als Resultat von Leistungsmaximierung?
Nun können wir als Nächstes fragen, was die Leistung der Biosphäre eigentlich limitiert? Licht ist es nicht – Photosynthese nutzt lediglich 1-3% der absorbierten Solarstrahlung (mehr dazu in diesem Blogpost). Es zeigt sich, dass es der Transport bzw. Austausch von Stoffwechselprodukten ist, der limitierend wirkt. Pflanzen auf Land müssen für die Photosynthese Kohlendioxid aus der Luft aufnehmen, sie verlieren dabei viel Wasser – wobei wir den Verlust Verdunstung nennen. Dieser Austausch ist thermodynamisch limitiert. Das Erwärmen der Oberfläche führt zu Auftrieb, dies mischt die Luft nahe der Oberfläche und versorgt Pflanzen mit dem Nachschub an Kohlendioxid. Mit dieser Limitierung kann man die sehr geringe Effizienz der Photosynthese sehr gut erklären (Kleidon 2021, Video).

Durch den Austausch von Kohlendioxid kann die Biosphäre aber auch die Zusammensetzung der Atmosphäre ändern. Über die Erdgeschichte hat sie dies auch getan, die Komposition hat sich dramatisch verändert (siehe auch dieses Video). Und so kann die Biosphäre die Strahlungsbedingungen, unter denen Luftbewegung entsteht, entsprechend verändern, und zwar so, dass sie insgesamt leistungsfähiger wird (siehe Abbildung 2). Und da physikalische Prozesse wie Luftbewegung sich gut darüber beschreiben lassen, dass sie an ihrer Leistungsgrenze operieren, können wir spekulieren, dass dies die Biosphäre über die Jahrmillionen der Erdgeschichte ebenso getan hat. Natürlich passiert dies nicht so schnell wie in der Atmosphäre, wo sich dieses Maximum innerhalb von Minuten einstellen kann, sondern es zeigt sich in einem evolutionärem Trend über Jahrmillionen von Jahren.
Und somit ist das, was die Gaia Hypothese postuliert, gar nicht so abwegig. Man kann das von ihr postulierte Verhalten als Ergebnis einer leistungsmaximierenden Biosphäre verstehen. Nebenbei bemerkt, war Lovelock auch stark beeinflusst von Thermodynamik und Lotka‘s Arbeiten zur maximaler Leistung aus den 1920er Jahren. Insofern passt dies eigentlich alles recht schlüssig zusammen.
Interesse an mehr?
Hier ist ein Link zu einem Buchkapitel zu Thermodynamik und der Gaia Hypothese (in Englisch), und mehr Videos gibt es dazu in dieser Playlist auf Youtube.
