Neuer Artikel: Wieviel Windenergie gibt es in Deutschland? Wir schätzen die Effizienzeinbußen und Auswirkungen des Ausbaus der Windenergie auf 200 GW in Deutschland mit einem einfachen physikalischen Ansatz ab.

Im Rahmen der Energiewende spielt der Ausbau der Windenergie eine zentrale Rolle. Aber wieviel lässt sich eigentlich nutzen, und wie stark wird die Atmosphäre beeinflusst? Dazu erhalte ich gerade eine ganze Reihe von Anfragen, auch aufgrund eines Videos, welches sich auf frühere Arbeiten von mir (Kleidon 2019; Kleidon 2021) bezieht. Praktischerweise ist dazu gerade ein neuer Artikel von mir in Physik in unserer Zeit erschienen, der genau diese Fragen beantwortet.

Für die Abschätzung benutzen wir einen Ansatz (“VKE”, für Vertical Kinetic Energy transport), den wir schon vor über 10 Jahren entwickelt haben (Miller et al. 2011), und der jetzt sehr praktisch ist, weil einfach und physikalisch. Der Ausgangspunkt ist die sogenannte Impulsbilanz. Impuls ist eine der physikalischen Größen, die erhalten bleibt. Der Wind nahe der Oberfläche reflektiert diese Bilanz. Er bilanziert den Antrieb – der kommt von oben aus der sogenannten freien Atmosphäre – mit der Reibung, die von der Windgeschwindigkeit abhängt.  So wird der Impuls aus der freien Atmosphäre in den Erdboden gebracht.  Kommen Windturbinen mit ins Spiel, dann erhält die Impulsbilanz einen weiteren Term: Windturbinen entziehen Impuls, um damit Strom zu erzeugen, und bringen diesen direkt in den Boden. Dies geht zu Lasten der Reibung, also muss sich die Windgeschwindigkeit verringern.  Dieses Verhalten kann man sehr einfach formulieren (Miller et al. 2011, Kleidon 2021), und es gibt das Verhalten, dass wir in sehr komplexen, numerischen Modellen auf regionalen Skalen finden, sehr gut wider (Miller et al. 2015, Miller and Kleidon 2016, Kleidon 2021). 

Jetzt habe ich die Gleichungen so umgestellt, dass man das Modell direkt auf regionale Windenergieszenarien in Deutschland anwenden kann, um damit die Reduktion von Windgeschwindigkeiten und Ertragsminderungen abzuschätzen.  Es zeigt sich, dass die Effizienz (oder genauer, der Kapazitätsfaktor, das Verhältnis von mittlerer Stromerzeugung zur Kapazität des Generators) von Windturbinen linear abnimmt mit der Rate, mit der die Turbinen der Atmosphäre die Energie entziehen.  Dieser Zusammenhang ist in der Abbildung dargestellt. 

Abbildung: Der mittlere Kapazitätsfaktor (mittlere Stromerzeugung einer Turbine geteilt durch die Kapazität ihres Generators) nimmt relativ linear ab, je mehr Windenergie in einer Region genutzt wird. Diesen Zusammenhang finden wir in Klimamodellen (GCM, farbig, aus Miller and Kleidon 2016) und können ihn durch die Impulserhaltung physikalisch erklären (VKE, grau). Wir nennen diesen Ansatz VKE und wenden ihn an, um abzuschätzen, was bei dem Ausbau der Windenergie mit den Erträgen passieren sollte.

Mit diesem Zusammenhang kann man die Abschätzung wie folgt durchführen.  Man benötigt zunächst den Kapazitätsfaktor einer isoliert stehenden Turbine.  Dafür nehme ich den gegenwärtigen Kapazitätsfaktor aus Energiestatistiken aus Deutschland, er ist etwa 20%.  Die lineare Abnahme geht mit der Menge an entzogener Energie, geteilt durch die Energie, die man maximal entziehen kann.  Letzteres sind 38% von der Dissipationsrate von kinetischen Energie, die natürlich in der Atmosphäre auf und unter der Höhe der Windturbinen passiert.  Und die Dissipationsrate erhält man zum Beispiel aus der ECMWF Reanalyse.

Bei einem landesweiten, gleichmäßigen Ausbau auf 200 GW, verteilt über ganz Deutschland, erhält man so, dass der durchschnittliche Kapazitätsfaktor um etwa 10-13% abnimmt.  Ohne diesen Reduktionseffekt würden die Windturbinen so im Mittel etwa 200 GW x 20% Kapazitätsfaktor = 40 GW oder 350 TWh pro Jahr an Strom erzeugen.  Mit Reduktion reduziert sich diese Menge um 30 – 45 TWh/a.  Zum Vergleich: dies ist etwa die Hälfte des gegenwärtigen Stromverbrauchs in Deutschland. Installiert man die Turbinen auf der Hälfte der Fläche, nimmt der Reduktionseffekt entsprechend zu, wie auch bei Turbinen, die effizienter sind.

Auch die Auswirkungen kann man hiermit abschätzen.  Im natürlichen Zustand dissipiert die Atmosphäre über Deutschland etwa 4 W pro Quadratmeter, also wandelt kinetische Energie wieder in Wärme um.  Multipliziert mit der Fläche Deutschlands ergibt dies so 1430 GW oder 12500 TWh pro Jahr.  Wenn wir jetzt den Ertrag mit dieser Reibungsrate in Beziehung setzen, dann sehen wir, dass die Windturbinen bei 200 GW lediglich 2.5% der Bewegungsenergie nutzen, die sonst natürlicherweise in Wärme umgewandelt würde.  Das ist sehr wenig, also sind großskalige Auswirkungen von Windturbinen somit kaum zu erwarten.

Mehr Details, zum Beispiel eine Aufteilung auf Bundesländer, können im Artikel (Kleidon 2023b) gefunden werden.  Gegenwärtig arbeiten wir daran, diesen Ansatz mit Simulationen mit hochauflösenden Wettervorhersagemodellen zu testen und in weiteren Studien anzuwenden.

Referenzen

Miller et al. (2011) Estimating maximum global land surface wind power extractability and associated climatic consequences, Earth Syst. Dynam., 2, 1–12, https://doi.org/10.5194/esd-2-1-2011.

Miller et al. (2015) Two methods for estimating limits to large-scale wind power generation, Proc. Natl. Acad. Sci USA, 112 (36), 11169-11174, https://www.pnas.org/doi/10.1073/pnas.1408251112.

Miller and Kleidon (2016) Wind speed reductions by large-scale wind turbine deployments lower turbine efficiencies and set low generation limits, Proc. Natl. Acad. Sci USA, 113 (48), 13570-13575, https://doi.org/10.1073/pnas.1602253113.

Kleidon (2021) Physical limits of wind energy within the atmosphere and its use as renewable energy: From the theoretical basis to practical implications, Met Z, 30 (3), 203 – 225, https://doi.org/10.1127/metz/2021/1062.  Also described in this blogpost.

Kleidon (2023a) Windenergie in der Deutschen Bucht – Konsequenzen großskaliger Offshore-Windenergienutzung, Physik in unserer Zeit, 54 (1), 30 – 36, https://doi.org/10.1002/piuz.202201654.  English version available on arXiv: https://arxiv.org/abs/2301.01043.  Also described in this blogpost.

Kleidon (2023b) Windenergiepotenzial von Deutschland. Physik in unserer Zeit, 54 (3): 142-148, https://doi.org/10.1002/piuz.202301670. English version available on arXiv: https://arxiv.org/abs/2304.14159.

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