Neu auf Youtube: Wie der Ansatz vom „Kraftwerk Erde“ einfache, aber physikalisch-basierte Klimaforschung und das Nachrechnen von Temperaturmustern und Trends ermöglicht

In der zweiten Folge der Serie zum Kraftwerk Erde geht es um die Temperaturen der Erde. Thermodynamisch gesehen erzeugen räumliche und zeitliche Unterschiede in der Erwärmung durch Sonnenlicht und der Kühlung durch Abstrahlung ins Weltall Temperaturunterschiede, also Zustände von thermodynamischen Nichtgleichgewicht. Dieses wird vom „Kraftwerk Atmosphäre“ genutzt, um Arbeit zu leisten, Luft zu bewegen, Wärme zu verteilen, und Nichtgleichgewicht abzubauen. Mit Datensätzen vom Strahlungsantrieb und der maximalen Leistung dieses Kraftwerks lässt sich dann wunderbar nachvollziehen, warum Wüsten wärmer sind als Regenwälder, warum sich im globalen Klimawandel Land stärker erwärmt als der Ozean, und warum sich Deutschland in den letzten Dekaden so stark erwärmt hat.

Wenn wir das Bild des „Kraftwerks Erde“ auf das Klimasystem anwenden, können wir damit einfache, aber physikalisch fundierte Klimaforschung betreiben.  Außer Strahlung spielt Luftbewegung eine wichtige Rolle im Klimasystem, da sie gewaltige Mengen an Wärme umverteilt.  Typischerweise wird Bewegung über die Bewegungsgleichungen beschrieben, also über die Erhaltung des Impulses und Drehimpulses.  Einen anderen Zugang liefert das „Kraftwerk Erde“: wir sehen uns an, wie viel Arbeit die Atmosphäre maximal leisten kann, um Bewegung zu erzeugen und damit Unterschiede in Temperatur abzubauen.  Und wie sich zeigt operiert das „Kraftwerk Atmosphäre“ nahe an der Leistungsgrenze, die Atmosphäre arbeitet also so stark wie sie kann.  Damit können wir die Rolle von Bewegung auf Temperaturen, den globalen Klimawandel, und die Erwärmung in Deutschland in den letzten Dekaden physikalisch und einfach nachvollziehen.


Abbildung 1: Die Erwärmung der Oberfläche durch Sonnenlicht und die Kühlung durch Emission der Atmosphäre ins Weltall entsteht ein Temperaturunterschied, der von der Atmosphäre genutzt wird, um Luftbewegung zu erzeugen.

Die direkteste Anwendung des Kraftwerks ist auf die räumlich unterschiedliche Erwärmung und Kühlung von Oberfläche und Atmosphäre (Abbildung 1).  Die Oberfläche wird durch die Absorption von Solarstrahlung erwärmt, während die Atmosphäre durch Emission von langwelliger Strahlung ins Weltall kühlt.  Dies erzeugt einen vertikalen Temperaturunterschied, der von der Atmosphäre genutzt wird, um Leistung und konvektive Luftbewegung zu erzeugen.  Diese Luftbewegung transportiert Wärme, beschrieben durch die sogenannten turbulenten Wärmeflüsse (H: sensibel oder fühlbar, und LE: latent in der Abbildung).  Dieser Wärmefluss treibt das Kraftwerk an, dies erzeugt Leistung, und erhält damit den Wärmefluss.  Je größer dieser Wärmefluss jedoch wird, desto effektiver wird die Oberfläche gekühlt – je größer H + LE in der Energiebilanz werden, so geringer muss die Ausstrahlung der Erdoberfläche werden, die Temperatur ist dann niedriger.  Dies führt zu einem Leistungsmaximum.  Wir können dies direkt im Ausdruck von Carnot erkennen – je größer der Wärmefluss J wird, desto geringer wird der Temperaturunterschied zwischen Oberfläche und Atmosphäre.  Dieses Maximum in der Leistung ist verbunden mit einem optimalen Wärmefluss und Oberflächentemperatur, und diese Eigenschaften kann man dann nutzen, um klimatologische Variationen von Temperatur und Energiebilanzaufteilungen nachzuvollziehen (Kleidon und Renner, 2013).

Warum Wüsten wärmer sind

Wir können damit zum Beispiel nachvollziehen, warum Wüsten wärmer sind als Regenwälder. Dies haben wir kürzlich in einer Veröffentlichung untersucht (Ghausi et al. 2023, siehe auch diesen Blogpost).  Zunächst würde man vielleicht denken, dass es an der fehlenden Verdunstung in Wüsten liegt.  Was wir aber mit unserem Ansatz gefunden haben ist, dass es vorrangig die höhere Solarstrahlung ist (also das Fehlen von Wolken) sowie ein schwächeres Kraftwerk.  Diese Ergebnisse sind in der Abbildung 2 zusammengefasst.  Mit Satellitendaten vom Strahlungsantrieb und Niederschlagsdatensätzen haben wir zunächst Regionen hinsichtlich ihrer Trockenheit klassifiziert, über den Trockenheitsindex vom russischen Klimatologen Budyko.  Dieser Index setzt die Energiemenge, die für die Verdunstung zur Verfügung steht (die sog. potenzielle Verdunstung) in Bezug zum Energieäquivalent des Niederschlags (also wieviel Energie nötig wäre, um den gesamten Niederschlag zu verdampfen).  Hat der Trockenheitsindex einen Wert von 1, so ist gerade genug Niederschlag da, um mit der verfügbaren Strahlungsenergie diesen zu verdampfen.  Ist der Wert kleiner, so ist die Region humid, einen Wert größer als 1 finden wir in ariden oder trockenen Gebieten.  


Abbildung 2: Änderung der Temperatur, der turbulenten Wärmeflüsse sowie der Strahlungsflüsse mit zunehmender Trockenheit.  Nach Ghausi et al. (2023).

In Abbildung 2 sehen wir, dass die klimatologischen Temperaturen kontinuierlich mit diesem Trockenheitsindex ansteigen (Diagramm links oben; auch wenn die Balken hohe Varianz zeigen).  Die anderen beiden Plots zeigen die Änderungen der Wärmeflüsse (rot: sensibel; blau: latent, also Verdunstung; schwarz: die Summe beider Flüsse) und der Strahlung (rot: Absorption von Solarstrahlung; blau: atmosphärische Gegenstrahlung).  Wir sehen eine klare Abnahme der Verdunstung mit zunehmender Trockenheit, also das, was wir erwarten würden (oben rechts).  Wir sehen aber auch, dass der sensible Wärmefluss (also Auftrieb) zunimmt, also zu einem gewissen Grad die Reduktion der Verdunstung kompensiert.  Insgesamt nehmen die Wärmeflüsse trotzdem mit zunehmender Trockenheit ab (schwarze Linien: aus den Satellitendaten bestimmt sowie aus der Maximierung der Leistung, gepunktete Linie). 

Die Abnahme der turbulenten Flüsse mit zunehmender Trockenheit liegt also nicht an der Wasserverfügbarkeit an sich, sondern hat einen thermodynamischen Ursprung – trockene Regionen liegen typischerweise in den Subtropen, also da, wo die Hadleyzirkulation jede Menge Wärme aus den Tropen hintransportiert.  Dies schwächt das Kraftwerk, weil es die kühle Seite des Kraftwerks dadurch erwärmt wird, statt die warme Oberfläche zu heizen.  Dies wiederum beeinflusst die Leistungsmaximierung, mit dem Resultat, dass die turbulenten Wärmeflüsse mit dem Trockenheitsindex abnehmen.  In der Abbildung rechts unten sehen wir dann noch, dass die Solarstrahlung klar mit Trockenheit zunimmt – wie wir auch erwarten würden, da der geringere Niederschlag halt auch mit weniger Wolken verbunden ist.  Zusammengenommen kann man alleine durch das geschwächte Kraftwerk sowie der Zunahme der Solarstrahlung die höheren, mittleren Temperaturen in Wüsten erklären.

Warum Land sich im Klimawandel stärker erwärmt

Wir können diese Umsetzung des „Kraftwerks Erde“ auch auf den Klimawandel anwenden.  In Beobachtungen und Klimasimulationen gibt es ein kurioses Phänomen, nämlich, dass Land sich allgemein stärker erwärmt als der Ozean (Abbildung 3).  Man mag zunächst denken, dass dies an der großen Wärmekapazität des Ozeans liegt.  Aber daran liegt es nicht, sondern daran, dass Land und Meer den stark ausgeprägten Tagesgang der Solarstrahlung unterschiedlich puffern.  Im Meer dringt Licht tief ins Meer ein und wird in den oberen 20-50 Metern absorbiert.  Dies ist ein riesiges Volumen mit einer hohen Wärmekapazität – die starken Änderungen der Einstrahlung während des Tages schlagen sich somit nicht in Temperaturschwankungen während des Tages nieder.  Über Land ist dies ganz anders – Land ist nicht transparent wie Wasser, das Sonnenlicht wird somit an der Oberfläche absorbiert, und die Pufferung des Tagesgangs findet in der unteren Atmosphäre statt (die sogenannte konvektive Grenzschicht, etwa 1-2 km).  Diese Grenzschicht hat eine geringere Wärmekapazität, und somit können wir über Land einen gut ausgeprägten Tagesgang der Temperatur beobachten.  Land und Meer verhalten sich also im Tagesgang grundsätzlich verschieden.


Abbildung 3: Beobachtete Erwärmungstrends global (schwarze Linie), über Meer (blau), Land (orange), und in Deutschland (rot) sowie (rechts) Häufigkeitsverteilungen von Beobachtungen von Tagesmitteltemperaturen an den Wetterstationen Jena und Fichtelberg. Nach Kleidon (2024).

Was hat dies nun mit dem „Kraftwerk Erde“ zu tun? Nun, über Land wird die Oberfläche nur während des Tages erwärmt, nur dann operiert das Kraftwerk und erzeugt Auftrieb und die damit verbundenen turbulenten Wärmeflüsse.  Diese kühlen die Oberfläche, indem sie einen Teil der Erwärmung in die Atmosphäre bringen.  Mit mehr Treibhausgasen erhöht sich die atmosphärische Gegenstrahlung.  Während des Tages wird ein Anteil dieser Zunahme durch die turbulenten Wärmeflüsse abgeführt, dies passiert in der Nacht nicht.  Somit erwärmt sich der Tag weniger stark als die Nacht – ein Effekt, den man in Beobachtungen auch häufig finden kann. 

Über dem Meer wird aber wegen des großen Wärmespeichers die Erwärmung durch das Sonnenlicht über Tag und Nacht verteilt – turbulente Wärmeflüsse finden also kontinuierlich statt.  Bei der Zunahme der Gegenstrahlung wird also Tag und Nacht eine Teil davon über die Luftbewegung abgeführt.  Wenn dies über Tag und Nacht gemittelt wird, so erwarten wir also, dass Land sich in etwa 50% stärker erwärmen sollte als das Meer.  Diesen Unterschied können wir in Klimamodellsimulationen auch finden (Kleidon und Renner, 2017).  Land erwärmt sich im globalen Klimawandel also stärker als das Meer, weil das Kraftwerk über Land nur tags, aber nicht nachts, läuft.

Temperaturentwicklung in Deutschland nachgerechnet

Als letztes Beispiel können wir diesen Zugang zu Klima und Temperaturänderungen nehmen, um die beobachtete Temperaturentwicklung in Deutschland nachzuvollziehen.  Die rote Linie in Abbildung 3 zeigt die mittlere Temperatur über Deutschland gemittelt, berechnet vom HYRAS Datensatz des Deutschen Wetterdiensts, der aus den Beobachtungen von Wetterstationen erstellt wurde. Die letzten Jahre in Deutschland sind bereits fast 2 Grad wärmer im Vergleich zur sog. klimatologischen Referenzperiode von 1961-1990.  Diese Erwärmung zeigt sich auch in den Temperaturbeobachtungen von einzelnen Stationen, wie in Jena (wo ich arbeite) und dem Fichtelberg (dem höchsten Berg Ostdeutschlands, der nicht durch Stadteffekte beeinflusst ist).  Beide zeigen die Häufigkeitsverteilung der Tagesmitteltemperaturen des Sommers, aufgeteilt nach Zeitperioden.  Man sieht an beiden Orten sehr klar, wie die Mitteltemperaturen sich konsistent zu wärmeren Temperaturen verschoben haben.  Der Klimawandel ist also schon deutlich erkennbar und fortgeschritten.

Abbildung 4: Wie Abbildung 3, aber ergänzt durch die Änderungen der mittleren Oberflächenenergiebilanz über Deutschland, rekonstruiert aus Beobachtungen und dem Ansatz von maximaler Leistung. Nach Kleidon (2024).

Aber warum steigt die mittlere Temperatur Deutschlands stärker als das Mittel über Land (orange Linie in Abbildung 3)?  Auch wenn der HYRAS Datensatz nicht die vollständigen Informationen liefert, um die Änderungen der Oberflächenenergiebilanz zu rekonstruieren, können wir mithilfe maximaler Leistung die Energiebilanz rekonstruieren.  Über die letzten 30 Jahre zeigt sich so eine konsistente Zunahme der Einstrahlung an der Oberfläche (rote Linie in Abbildung 4 unten, beobachtet und zurückgeführt auf weniger Wolken, wie in diesem Blogbeitrag beschrieben), die in etwa so stark ist wie die Zunahme der atmosphärischen Gegenstrahlung (lila Linie, rekonstruiert über max. Leistung, konsistent mit Abschätzungen über einen semi-empirischen Ansatz, der im Frage&Antwort Video erwähnt wird).  Diese Zunahmen in Erwärmung der Oberfläche führt dann zu entsprechender Verstärkung der Kühlung über Ausstrahlung der Oberfläche (erzielt über eine wärmere Temperatur) und über mehr turbulente Flüsse.  So zeigt sich also, dass der Klimawandel in Deutschland also schon stärker zugelegt hat, weil er durch die Abnahme von Wolken die Erwärmung verstärkt wird (mehr dazu in Kürze in einem neuen Artikel in Physik in unserer Zeit).

Einsichten für das Kraftwerk Erde

Mit dem „Kraftwerk Erde“ haben wir also einen grundlegenden, physikalischen Ansatz, um Klima einfacher zu verstehen.  Dabei hilft uns der Ansatz, die Rolle von Luftbewegung und Umverteilung von Wärme zu quantifizieren, indem wir annehmen, das Luftbewegung soviel leistet wie sie kann, also an der Leistungsgrenze operiert.  Die Beispiele zeigen, dass man damit einfache Abschätzungen durchführen kann, die sehr gut mit Beobachtungen und Modellrechnungen übereinstimmen.  Damit werden charakteristische Klimaeffekte und der Klimawandel nachvollziehbar und nachrechenbar.  Ich finde das ganz wunderbar, weil ich dies für den Kern von Wissenschaft halte – Phänomene auf das Wesentliche zu kondensieren, plausibel zu erklären, aber dann auch physikalisch zu beschreiben und abschätzen zu können.

Folien

Videos

Video auf Urknall, Weltall, und das Leben

Video mit Antworten auf Fragen und Kommentare auf VideoWissen

Literatur

Kleidon (2012) Was leistet die Erde? Thermodynamik des ErdsystemsPhysik in unserer Zeit, 43, 136-144.

Kleidon und Renner (2013) Thermodynamic limits of hydrologic cycling within the Earth system: concepts, estimates and implications. Hydrology and Earth System Sciences, 17, 2873-2892.

Kleidon und Renner (2017) An explanation for the different climate sensitivities of land and ocean surfaces based on the diurnal cycle. Earth System Dynamics, 8, 849-864.

Kleidon (2020) Sonne oder Treibhauseffekt? Globale Erwärmung einfach und physikalisch nachgerechnet. Physik un unserer Zeit, 51, 79-85.

Tian, Zhong, Ghausi, Wang, Kleidon (2023) Understanding variations in downwelling longwave radiation using Brutsaert’s equation. Earth System Dynamics, 14, 1363-1374.

Ghausi, Tian, Zehe, Kleidon (2023) Radiative controls by clouds and thermodynamics shape surface temperatures and turbulent fluxes over land. PNAS, 120, e2220400120.

Kleidon (2024) Dürren in Deutschland. Warum der Klimawandel hydrologische Extreme verstärkt. Physik in unserer Zeit, 55, im Druck (erscheint Juli 2024). Englischer Preprint verfügbar auf arXiv.

Leave a comment